Stammzellen in der Wirbelsäule: 7 unbequeme Wahrheiten und 5 Szenarien, in denen sie tatsächlich helfen

Die regenerative Medizin verspricht, geschädigte Bandscheiben zu reparieren und diskogenen Kreuzschmerz zu lindern. 2025 zeigen klinische Studien und Übersichtsarbeiten Hinweise auf Wirksamkeit in Teilgruppen, die Evidenz ist jedoch heterogen und teils noch vorläufig. Es ist keine Universallösung und ersetzt weder Rehabilitation noch sinnvoll indizierte Operationen. Dieser Artikel erklärt in klarer Sprache, wann Zelltherapien oder PRP sinnvoll sein können, welche Ergebnisse realistisch sind, welche Risiken bestehen und wie man sie sicher in einen Behandlungsplan integriert.

  • Intradiskale Zelltherapien und PRP können bei einigen Patient*innen mit anhaltendem diskogenem Schmerz moderate Vorteile bringen, „heilen“ aber nicht jeden Rücken.
  • Die Fallauswahl ist entscheidend: gesicherter diskogener Schmerz, Scheitern strukturierter konservativer Maßnahmen und keine relevante Segmentinstabilität.
  • Ergebnisse werden meist mit Schmerz und Funktion gemessen; Verbesserungen erfolgen schrittweise (Wochen bis Monate).
  • Es gibt Risiken (Infektion, Schmerzverschlechterung, Kosten) sowie regulatorische Rahmenbedingungen, die die Anwendung außerhalb von Studien einschränken.
  • Sie sollten mit therapeutischem Training, Schmerzedukation und ggf. weiteren Maßnahmen kombiniert werden.

 

Was bedeutet regenerative Medizin an der Wirbelsäule?

Gemeint sind biologische Therapien zur Reparatur von Bandscheibengewebe oder zur Modulation von Entzündung. Dazu zählen Zellkonzentrate (z. B. mesenchymale Stammzellen) und blutbasierte Produkte wie plättchenreiches Plasma (PRP). Ziel ist es, Schmerz zu reduzieren und die Funktion zu verbessern – bei möglichst erhaltener Beweglichkeit.

 

Symptome und Indikationen: für wen kann es sinnvoll sein?

  • Chronischer Kreuzschmerz mit Verdacht auf diskogenen Ursprung (mittiger Schmerz, schlimmer beim Sitzen, positive Provokationstests).
  • Leichte Radikulopathie durch enthaltene Protrusion ohne relevante Instabilität.
  • Versagen eines gut angeleiteten konservativen Programms über mindestens 6–12 Wochen (Training, Edukation, zurückhaltende Medikation, psychosoziales Management).

Keine gute Indikation bei ausgeprägter Instabilität, hochgradiger zentraler Spinalkanalstenose, relevanter Deformität, Infektion, Tumoren oder progredientem neurologischem Defizit – hier ist ein anderes Vorgehen erforderlich.

 

Diagnostik: bestätigen, dass der Schmerz aus der Bandscheibe kommt

Anamnese und neurologische Untersuchung leiten die Diagnose. Das MRT lokalisiert degenerative Veränderungen und indirekte Zeichen (z. B. Modic-Veränderungen), genügt allein aber nicht – die klinische Korrelation ist unerlässlich. In ausgewählten Fällen helfen dynamische Röntgenaufnahmen, Instabilität auszuschließen; in spezialisierten Zentren können diagnostische interventionelle Tests erwogen werden. Vor jeder biologischen Therapie ist zu prüfen, dass der Bildbefund die aktuellen Beschwerden erklärt.

 

Therapiealternativen

Nicht-operativ

  • Therapeutisches Training und Schmerzedukation: Basis der Anfangsbehandlung.
  • Rationale Analgesie (chronische Opioide vermeiden), psychosozialer Ansatz und aktive Physiotherapie.
  • Epidural- oder Facettengelenksinjektionen in ausgewählten Fällen mit entzündlicher Komponente.

Biologisch (regenerativ)

  • PRP intradiskal oder peridiskal: soll Entzündung modulieren und Gewebereparatur fördern. Evidenz zeigt Verbesserungen bei Schmerz und Funktion bei einem Teil der Patient*innen, mit Studien-Variabilität.
  • Mesenchymale Stammzellen (MSC), autolog oder allogen: intradiskale Injektion zur Förderung eines reparativen Milieus. Kontrollierte Studien zeigen akzeptable Sicherheit und Signale für Wirksamkeit in Subgruppen; andere finden kurzfristig keinen klaren Vorteil gegenüber Placebo.

Operativ

  • Gezielte Dekompression bei signifikanter Nervenkompression.
  • Fusion oder Bandscheibenersatz bei therapieresistentem diskogenem Schmerz mit Instabilität oder Deformität nach multidisziplinärer Beurteilung.

 

Erwartbare Vorteile vs. Risiken/Nebenwirkungen

Vorteile

  • Schrittweise Schmerzreduktion und Funktionsgewinn bei gut ausgewählten Patient*innen.
  • Minimalinvasive Verfahren mit schneller Erholung.
  • Mögliche Verzögerung oder Vermeidung einer Operation in Einzelfällen.

Risiken und Grenzen

  • Heterogene Studienergebnisse; keine Erfolgsgarantie.
  • Nebenwirkungen: vorübergehende Schmerzverstärkung, Infektion, Blutung, selten allergische Reaktion.
  • Kosten und Verfügbarkeit; regulatorische Beschränkungen außerhalb von Studien.

 

Praktische Kriterien für Überweisung/spezialisierte Abklärung

  • Anhaltender diskogener Kreuzschmerz mit Funktionseinschränkung nach 6–12 Wochen gut durchgeführter konservativer Therapie.
  • MRT stützt die Disk-Genese, ohne relevante Instabilität.
  • Motivation, biologische Therapie mit strukturierter Rehabilitation und Lebensstiländerungen zu kombinieren.
  • Ausschluss von Red Flags (Infektion, Tumor, Cauda-equina-Syndrom) sowie anderer Hauptschmerzquellen (Facettengelenk, Iliosakralgelenk) vor einer Diskusinjektion.

 

Realistische Erholungszeiträume

  • Tag 0–2: lokale Beschwerden gut beherrschbar; frühe Mobilisation.
  • Woche 1–4: schrittweise Rückkehr zu leichten Aktivitäten; Beginn/Fortführung des therapeutischen Trainings.
  • Monat 2–3: maximale Funktionsgewinne bei Responder*innen; Anpassung der Analgesie und des Kräftigungsprogramms.

Die Zeitverläufe variieren je nach Alter, Komorbiditäten, Anzahl behandelter Segmente und weiteren Schmerzquellen.

 

Wann in die Notaufnahme?

  • Hohes Fieber, unverhältnismäßig starke Schmerzen oder rasche Verschlechterung nach dem Eingriff.
  • Zunehmende Schwäche, Reithosenanästhesie oder neue Blasen-/Darmstörungen.

 

Mythen und Fakten

  • Mythos: „Stammzellen regenerieren jede Bandscheibe.“ Fakt: Ergebnisse hängen von Fallauswahl und strukturellem Schaden ab.
  • Mythos: „PRP ist bei allen gleich.“ Fakt: Aufbereitung und Injektionsort beeinflussen die Resultate.
  • Mythos: „Mit Zellen brauche ich nie eine OP.“ Fakt: Bei manchen kann sie hinausgezögert werden; bei anderen bleibt die Operation die richtige Option.

 

Häufige Fragen

Wer ist eine gute Kandidatin/ein guter Kandidat?

Menschen mit gesichert diskogenem Schmerz, ohne relevante Instabilität und nach Ausschöpfen konservativer Maßnahmen.

Welche Untersuchungen brauche ich vorher?

Klinische und neurologische Untersuchung, MRT und ggf. Zusatzuntersuchungen zum Ausschluss anderer Schmerzquellen.

Wann spüre ich eine Besserung?

Schrittweise über Wochen; der Höhepunkt liegt bei Respondern oft zwischen 6 und 12 Wochen.

Welche Risiken gibt es?

Vorübergehende Schmerzen, seltene Infektionen, Blutung oder fehlende klinische Besserung.

Ersetzt das die Physiotherapie?

Nein. Es gehört in einen Plan mit Training und Schmerzedukation.

Ist das überall zugelassen?

Die Regulierung variiert je nach Land. Manche Indikationen sind auf Studien beschränkt.

Hilft es bei hochgradiger Stenose oder Instabilität?

Nein, dafür sind andere – teils operative – Strategien erforderlich.

Kann ich nach dem Eingriff arbeiten?

Viele nehmen leichte Tätigkeiten nach 1–2 Wochen wieder auf – je nach Verlauf und Tätigkeit.

 

Glossar

  • Diskogener Schmerz: Schmerzursprung in der Bandscheibe.
  • MSC: mesenchymale Stammzellen mit reparativem und immunmodulatorischem Potenzial.
  • PRP: plättchenreiches Plasma, autologes Konzentrat mit Wachstumsfaktoren.
  • Instabilität: abnorme Bewegung eines Wirbelsäulensegments, die Schmerzen verursachen kann.
  • Red Flags: Warnzeichen, die eine dringliche Abklärung erfordern.

 

Referenzen

  1. Complex Spine Institute: Regenerative Medizin mit Stammzellen
  2. NICE. Low back pain and sciatica in over 16s: assessment and management (aktualisiert 2020). https://www.nice.org.uk/guidance/ng59 (2020).
  3. NASS. Clinical Guidelines (Leitlinien-Portal Wirbelsäule). https://www.spine.org/Research/Clinical-Guidelines (abgerufen 2025).
  4. Amirdelfan K u. a. Allogene mesenchymale Vorläuferzellen bei diskogenem Kreuzschmerz: randomisierte, kontrollierte 36-Monats-Nachbeobachtung. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33045417/ (2021).
  5. Vadalà G u. a. Autologe BM-MSC-Injektion intradiskal: randomisierte Phase-IIB-Studie (vorläufig). https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC12129703/ (2025).
  6. Machado ES u. a. Systematische Übersicht zu PRP bei Rückenschmerz. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10525951/ (2023).
  7. FDA. Wichtige Patienteninformation zu regenerativen Therapien. https://www.fda.gov/vaccines-blood-biologics/consumers-biologics/important-patient-and-consumer-information-about-regenerative-medicine-therapies (2021).

 

Rechtlicher Hinweis: Dieser Inhalt ist informativ und ersetzt nicht die individuelle ärztliche Beurteilung.